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Gedanken über Temeswar im Jahr 2023
articolŭ [ Culturâ ]
Kulturhauptstadt Europas

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di [Tia ]

2023-02-26  | [Aestu textŭ lipseashti s-hibâ dghivâsitŭ tu deutsch]    | 



Die Benennung zur „Kulturhauptstadt Europas“ soll dazu beitragen, laut Wikipedia, „den Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen". Der Titel wird von der Europäischen Union nach verschiedenen Kriterien vergeben, wie „Langzeitstrategie, europäische Dimension, kulturelle und künstlerische Inhalte“.
Nachdem in den Medien verschiedene Stimmen – sowohl lobende als auch kritische – anlässlich der offiziellen Eröffnung vom 17 - 19 Februar zu lesen waren, habe ich ein paar Gedanken über Temeswar aufgeschrieben.
Sie ist die Stadt meiner Kindheit und Jugend. Ich bin in einem wohl behüteten Haus aufgewachsen, zweisprachig, Rumänisch und Deutsch. Ich habe die deutschsprachige Lenauschule, das Nikolaus-Lenau-Lyzeum, in der dritten Generation, besucht. Das war keine Ausnahme in Temeswar, dass man zweisprachig ist, ich hatte Freunde, Kollegen, Nachbarn, die sogar dreisprachig waren, Rumänisch, Deutsch und Ungarisch, viele Einwohner der Stadt beherrschten auch andere Sprachen wie Serbisch, Bulgarisch, Slowakisch. Diese Mischung konnte man auf vielen Ebenen finden.
In diesem Jahr, da meine Stadt zur Kulturhauptstadt Europas ernannt wurde, empfinde ich Stolz. Ich gehöre zu den Kindern Temeswars die weggegangen sind, aber ihre Stadt nie verlassen haben. Ich schreibe mit Sehnsucht und es ist nicht die einer verlorenen Unschuld oder der zurückgelassenen Geborgenheit der Familie oder einer Zeit, die niemals zurückkehren wird. Es ist die Sehnsucht nach einem Stadtgeist, der Miteinander bedeutet, Freundschaft, die ein Leben lang hält, gegenseitige Hilfe in Zeiten, die politisch und wirtschaftlich so herausfordernd waren (und noch sind). "Și totuşi aplaudă", in Übersetzung: "Und trotzdem applaudieren sie", ging wie ein Feuerwerk herum, es war eine Anekdote während des kommunistischen Regimes, als man Angst hatte seine Meinung zu äußern und deswegen Anekdoten erzählte, Schubladenliteratur verfasste oder verbotenen Radiosendern zuhörte. Ich werde diesen Tag auf dem Opernplatz nie vergessen, wenige Tage nach dem Umsturz, wie wir sie nannten - der Revolution, als die ganze Stadt da war und niederkniete. Wir waren ein buntes Miteinander, eine Menschenmenge, die keine Angst mehr hatte. Wir standen da, mit gesunkenen Köpfen, und beteten. Dann standen wir auf und richteten unseren Blick nach vorne. Es fühlte sich an wie Freiheit.
Diese Ereignisse der Geschichte werden Temeswar für immer prägen, unter anderem auf diesem Opernplatz (heute „Siegesplatz“ genannt), mit den Flaniermeilen "Corso" und "Surogat". Es gibt Kreuze, die an Dezember 1989 erinnern, und, dank einer guten Kamera, kann man mithilfe des Zooms die Spuren der Kugeln von damals an den oberen Stockwerken des Löffler-Palais sehen. Wenn man an der orthodoxen Kathedrale der Heiligen-Drei-Hierarchen vorbeigeht und die Brücke in Richtung "Maria" überquert, scheint die Zeit im "Elisabetin" (Elisabethstadt) stehengeblieben zu sein. Die Bezeichnung „Klein-Wien“ kommt nicht von ungefähr. Gebäude an denen ich so oft vorbeigelaufen bin, sehe ich erst jetzt richtig, ob hier, im Viertel „Cetate“ oder in „Fabric“. Es ist vielleicht das Gerüst, das seit Langem das Ferencz-Marschall-Palais bedeckt oder die frischen Farben eines renovierten Secession-Gebäudes in der Gheorghe-Doja-Straße, das Haus der Witwe Blau Lajos von 1907, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dieses wichtige architektonische Erbe Temeswars, mit vielen Gebäuden im Stil der Secession, muss vor dem Zerfall gerettet und aufrechterhalten werden. Plattformen wie Instagram leisten hierfür einen wichtigen Beitrag (#heritageoftimisoara, #artnouveautimișoara). Ich sage mir, immer wenn ich Jugendstil in Temeswar fotografiere, dass München gerne solche Gebäude hätte, es gäbe geführte Touren, Fachliteratur, die Stadt hätte einen anderen Bekanntheitsgrad. Man ist noch am Anfang.
Ein wichtiger Schritt ist jetzt getan. Temeswar, als Kulturhauptstadt Europas, rückt in den Fokus mit einem Programm das auf der folgenden Seite nachzulesen ist: https://opening.timisoara2023.eu/momente-importante/
Man ist jung und kreativ, offen und neugierig, die Straßen sind Bühnen der Lebensfreude. Auf einer Brücke ist mit leuchtenden Buchstaben zu lesen: "Te aștept" ("Ich warte auf Dich"), eine Nachricht an die Welt mit dem innigen Wunsch gesehen zu werden.
Wie damals in der Lenauschule als der „Spirit der Lenauschule“ (eine aufschlussreiche Bezeichnung für unser damaliges Kollektiv) uns so viel Energie gab und so viel Freude bereitete, empfinde ich heute den Geist der Stadt, denn es gibt ihn, den „Spirit von Temeswar“, über den vermeintlichen Neid anderer Städte, den Geldnöten oder den politischen Rivalitäten hinweg.
„Shine your light“ Temeswar 2023, alle zusammen.

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